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September 2023

"Drohendes Kliniksterben: Für die Patienten ein Fiasko" - ein Interview von Anouschka Horn

Drastisch gestiegene Preise, enormer Personalmangel, zunehmende Strukturvorgaben und bevorstehende Tarifsteigerungen setzen die Deutschen Krankenhäuser massiv unter Druck. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geht daher von einem Krankenhaussterben in drastischem Ausmaß aus. Eine flächendeckende Versorgung wäre danach nicht mehr möglich. Für die Patienten ein Fiasko. Für den SPD-Politiker anscheinend eine durchaus hinnehmbare Entwicklung, sozusagen ein Gesundschrumpfen der Krankenhauslandschaft. Einen nachhaltigen Inflationsausgleich lehnt er ab. Ebenso eine auskömmliche Abdeckung der Tarifsteigerungen und wachsenden Belastungen.

Als Reaktion darauf führt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zusammen mit ihren Landesverbänden am 20. September einen zentralen Protesttag in Berlin auf, an dem sich bundesweit die Krankenhäuser beteiligen.

Anouschka Horn sprach mit Markus Morell, dem Sprecher der Geschäftsführung des Klinikums Dritter Orden München-Nymphenburg, über die düstere Zukunft, die der Krankenhauslandschaft infolge der flächendeckenden finanziellen Krise bei ausbleibendem Ausgleich von Inflation, Kostenzuwachs und Tarifsteigerungen drohe. Eine besorgniserregende Entwicklung, die laut Einschätzung des erfahrenen Krankenhausexperten, bisher beispiellos sei. Im Gespräch erläutert er, was es mit den Forderungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft nach mehr Planungssicherheit auf sich hat und weshalb er diese als Geschäftsführer eines freigemeinnützigen Hauses mitträgt.

Anouschka Horn: Alarmstufe Rot. Deutschlands Krankenhäuser rufen um Hilfe. Am 20. September in Berlin und im gesamten Bundesgebiet. Täglich rutschen die Kliniken tiefer in ein finanzielles Fiasko mit noch nicht absehbaren Folgen für die Patienten. Herr Morell, wie drastisch stufen Sie persönlich die Situation mittlerweile ein?

Markus Morell: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es je zuvor so schlimm war, wie es im Moment ist oder dass wir jemals einer vergleichbar verheerenden Situation ausgesetzt gewesen sind. Und deswegen auch der Protesttag, der in Deutschland von fast allen Krankenhäusern mitgetragen wird. Dem schließen wir uns als Klinikum Dritter Orden natürlich auch an.

Anouschka Horn: Sie brauchen feste finanzielle Zusagen, sprich Planungssicherheit. Noch steht diese aus.

Markus Morell: Das ist tatsächlich, was wir fordern, was auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft von Herrn Lauterbach fordert. Uns allen eine Planungssicherheit zu geben, wie das Jahr 2024 finanziell von den Krankenhäusern überlebt werden kann. Aus meiner Sicht sind Lauterbachs Aussagen, dass einige Kliniken wohl sterben werden, sogar auch ganz gute oder gar nicht schlechte, wenig hilfreich. Wenn man als Minister zudem weiß, dass die Krankenhäuser und ihre Mitarbeitenden drei Jahre Pandemie hinter sich haben, und die dann in die nächste existenzielle Krise treibt – das halte ich nicht für in Ordnung und das kann man auch so nicht stehen lassen.

Anouschka Horn: Kommunale Krankenhäuser haben die Städte und auch die Landkreise im Rücken, die immer wieder Defizite ausgleichen. Was darf ein freigemeinnütziges Haus wie der Dritte Orden überhaupt an finanzieller Unterstützung erwarten?

Markus Morell: Die Kommunen und auch die Universitätskliniken können ihre Defizite letztlich durch den Steuerzahler refinanzieren lassen. Diese Möglichkeit haben wir als freigemeinnütziges Haus nicht. Unser Träger ist die Schwesternschaft der Krankenfürsorge, ein Orden. Und es ist glaube ich nachvollziehbar, dass ein Orden Defizite in zweistelliger Millionenhöhe pro Jahr nicht tragen kann und auch nicht dafür einstehen kann.

Anouschka Horn: Es heißt, wer zahlt, schafft an. Andersherum, wer nicht zahlt, hat eigentlich auch nicht anzuschaffen. Sie machen allerdings jetzt ganz andere Erfahrungen mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach, gerade auch im Hinblick auf 2024. Welche?

Markus Morell: Herr Lauterbach gibt den Krankenhäusern weiterhin ganz viele Strukturvorgaben, die wir alle erfüllen müssen, die aber letztlich auch einer Refinanzierung bedürften. Erst recht vor dem Hintergrund der im Jahr 2024 wirksam werdenden Tarifsteigerungen, die uns zusätzlich belasten werden. Die Tarifsteigerungen werden von der Bundesregierung zwar gutgeheißen, aber die Refinanzierung fehlt auch hier. Da sind wir wieder bei dem Stichwort Planungssicherheit für das Jahr 2024. Und da haben wir bisher weder von Herrn Lauterbach noch von der Bundesregierung irgendwelche Aussagen dazu vernommen, welche Hilfen tatsächlich für die Krankenhäuser kommen.

Anouschka Horn: Und wir sprechen hier schon von einem Bedarf in zweistelliger Millionenhöhe für die Krankenhäuser.

Markus Morell: Deswegen ist die Situation ja auch so dramatisch und ich bin jetzt seit fast dreißig Jahren im Krankenhaus tätig. Eine solche dramatische, flächendeckende Unterfinanzierung habe ich noch nicht erlebt.

Anouschka Horn: Und ein Stück weit ist diese Entwicklung auch ungerecht, wenn die Einrichtungen selbst nach bestem Gewissen versuchen, solide zu wirtschaften, aber dann durch die zusätzlichen Auflagen vonseiten des Bundesgesundheitsministers in eine finanzielle Schieflage kommen?

Markus Morell: So ist es. Und das Klinikum Dritter Orden war immer wirtschaftlich gesund. Wir haben immer gut gewirtschaftet, was übrigens auch eine Eigenschaft vieler freigemeinnütziger Kliniken ist. Und wir werden jetzt in eine Situation gedrängt, die wir so noch nicht kennen und die darüber hinaus eine existenzielle ist.

Anouschka Horn: Was bedeutet das alles für Ihre Patienten?

Markus Morell: Nichts Gutes.

Anouschka Horn: Und das ausgerechnet bei einer Gesellschaft, die immer älter und damit auch immer kränker wird.

 

Kontakt:
Petra Bönnemann
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