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27. Juli 2020

In Zeiten des Virus: „Wir sind gut gerüstet" - eine Zwischenbilanz des Leiters der Sektion Pneumologie

Auf unseren Wunsch hin hat Pneumologe Dr. Michael Jakob Mitte Juli eine Corona-Zwischenbilanz gezogen:

Wir alle wissen, dass COVID-19 noch nicht vorbei ist. Nach vielen ereignisreichen Wochen und abnehmenden Infektionszahlen traue ich mich aus meiner Sicht eine erste Zwischenbilanz für unser Klinikum zu ziehen. Seit dem 12. März 2020 haben wir über hundert schwererkrankte COVID-19 Patienten (115 waren es bis zum 13. Juli 2020) stationär behandelt. Zusätzlich kam in etwa die dreifache Anzahl an Verdachtsfällen dazu. An den

Folgen einer SARS-CoV2-Infektion sind leider auch 18 unserer Patienten verstorben – einige von ihnen vermutlich an ihren vorbestehenden schweren Grunderkrankungen und nicht an einer COVID-Pneumonie. Wir haben 33 Patienten intensivmedizinisch behandelt, davon 22 maschinell beatmet, von denen letztlich neun verstorben sind. In der kritischen Phase um Ostern herum waren zeitweise zehn Patienten gleichzeitig an Beatmungsmaschinen angeschlossen. Wir erlebten ungewöhnlich lange Beatmungszeiten von im Durchschnitt 14 Tagen.

Die längste Beatmungsdauer eines inzwischen entlassenen und weitgehend genesenen 82-Jährigen betrug über 25 Tage. Viele unserer am schwersten erkrankten Patienten zeigten anhaltende neurologische, kardiale und pneumologische Symptome, vor allem aber eine eingeschränkte Belastbarkeit, Atemnot und Schwäche.

Unsere Zahlen und Verläufe entsprechen denen vieler deutscher Kliniken und bestätigen uns, dass wir es mit einer bedrohlichen neuen Viruspneumonie mit schweren und ungewöhnlichen Komplikationen zu tun haben. Die Zahlen verdeutlichen, dass wir in unserem Klinikum in der Versorgung von COVID-19-Patienten in München einen wertvollen Beitrag geleistet haben und immer noch leisten. Dahinter steht eine interprofessionelle und interdisziplinäre Gemeinschaftsleistung, die ich in ihrem Umfang nicht annähernd gänzlich auflisten kann, aber anhand einzelner Beispiele aufzeigen möchte.

Als erstes Beispiel der interprofessionellen Teamleistung möchte ich den Krisenstab nennen. Dieser traf sich anfangs sieben Tage die Woche, um kurzfristig zu erörtern und zu entscheiden, wie die sich aus der bedrohlichen Krankheitswelle in München für unser Haus ergebenden Herausforderungen zu meistern sind. Unsere Geschäftsführung, die ärztlichen Direktoren, die Chefärzte der Kliniken für Innere Medizin und für Anästhesie und Intensivmedizin, unsere Pflegedienstleitung, die Hygieneabteilung, die Organisationsentwicklung, die Medizin- und Haustechnik und viele mehr setzten Hygienekonzepte um, kümmerten sich um die Schutzausrüstung für unsere Mitarbeiter, die anfangs deutschlandweit ein knappes Gut war, etablierten in wenigen Tagen eine infektiologische Notaufnahme und Intensivstation, organisierten weitere Intensivbettenkapazitäten und funktionierten zwei Normalstationen in eine Station mit COVID-Erkrankten und eine Verdachtsstation um.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses aller Abteilungen nahmen diese Veränderungen in kürzester Zeit vor. Eine große Zahl von Pflegenden aus dem OP, der Anästhesie, der Endoskopie und von den Normalstationen wurde von der Intensivpflege auf unseren beiden Intensivstationen eingearbeitet. In den Isolationsbereichen begannen physisch und psychisch anstrengende Dienste in Schutzkleidung, bei denen die Mitarbeiter immer auch das persönliche Infektionsrisiko vor Augen hatten. Ein Pool von MedizinstudentInnen unterstützte auf freiwilliger Basis Pflegekräfte und Ärzte.

Besonders in Erinnerung bleibt mir die interprofessionelle Zusammenarbeit mit den Pflegekräften auf der infektiologischen Intensivstation. Die intensive fachpflegerische und vor allem menschliche Zuwendung am Patientenbett war gerade nach einer langen Beatmungsphase der geschwächten Patienten entscheidend.

Das ärztliche Team führte täglich zu festgelegten Zeiten Telefonate mit Angehörigen und versuchte auf diese Weise Ängste abzubauen. Ein ganz besonderer Teamgeist war bei den Pflegekräften und Ärzten zu spüren. Die Patienten profitierten davon mindestens genauso, wie von der modernen technischen Ausstattung unserer Intensivstationen und der guten medizinischen Ausbildung unseres interprofessionellen Teams.

Auch im ärztlichen Bereich kam rasch eine bemerkenswerte fächerübergreifende Zusammenarbeit in Gang, vor allem, da viele neu geschaffene Dienste zu besetzen waren. Alle Abteilungen halfen mit, waren mit ihren Ärzten auch außerhalb ihres Fachgebiets in den Notaufnahmen und auf den internistischen Normalstationen tätig und besetzten zusätzliche Notarztdienste.

All die vielen bemerkenswerten Leistungen der einzelnen Mitarbeiter kann ich hier nicht erwähnen. Ich habe aber in meiner gesamten Berufslaufbahn keine Zeit erlebt, in der in einem Krankenhaus in so kurzer Zeit eine so große Gemeinschaftsleistung unter Zurückstellung von Einzelinteressen erbracht worden ist. Nicht alles war perfekt und konnte auch nicht perfekt sein, da keiner von uns Ähnliches wie die COVID-Krise kannte. Entscheidungen mussten ständig an neue Situationen angepasst, einzelne Maßnahmen revidiert werden. Das bisher Geleistete kann uns dennoch zuversichtlich für die nächsten Wochen stimmen. Denn nach meiner Einschätzung brauchen wir für Monate noch einiges an Kondition für COVID-19.

Die Zwischenbilanz für mich persönlich: Ich habe seit meinem Studium nicht mehr so viel Neues dazu gelernt, wie in den vergangenen 18 Wochen und auch jetzt lerne ich immer noch weiter. Ich habe mir zeitweise große Sorgen gemacht, besonders um unsere MitarbeiterInnen in den infektiologischen Bereichen.

Dass in diesen Bereichen keine Infektionen/Erkrankungen beim Personal aufgetreten sind, hat mich sehr erleichtert und hat gezeigt, dass Hygienemaßnahmen gut geplant und diszipliniert umgesetzt wurden.

Und das Wichtigste: Ich habe mich wieder noch intensiver als Arzt gefühlt. Es war erfüllend, das erworbene Wissen und die erlernten Fähigkeiten in einem hochmotivierten Team zum Nutzen des Patienten anwenden zu können. Den Kranken dabei unbeeinflusst von ökonomischen Kennzahlen gemeinsam zu helfen – sie manchmal zu heilen und manchmal auch nur zu begleiten, das war für mich in dieser Zeit eine große Befriedigung. Ich hoffe, dass einiges davon auch nach COVID-19 so bleibt.

Dr. Michael Jakob, Leiter der Sektion Pneumologie und Leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II im Klinikum Dritter Orden

 

Kontakt:
Petra Bönnemann
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon 089 1795-1712
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